Weihnachtszeit in Nazareth

Meine erste Arbeitsstelle als junger 23-jähriger Sozialarbeiter war eine Sammelunterkunft für Asylbewerber, die Heimstätte Nazareth, in Ostfriesland – gleich hinter dem Deich. In einer ehemaligen Ferienstätte lebten damals in den 1980er Jahren über 400 Menschen. Sie kamen aus Polen, der Türkei, aus Afghanistan, Indonesien, aus dem Libanon, aus Vietnam und Laos. Es war ein buntes Treiben, eine oft faszinierende Atmosphäre trotz vieler Herausforderungen und ich denke ausgesprochen gern an diese Zeit zurück.

Für wen haben wir noch Platz?

Besonders eindrücklich waren die Feierlichkeiten in der Vorweihnachtszeit und am Heiligen Abend. Die Flüchtlinge aus Vietnam wussten wenig anzufangen mit Adventskränzen, Lebkuchen oder Dominosteinen und hatten auch keinerlei Erfahrungen mit dem rauen Klima Ostfrieslands. Oft sah ich, wie ganze Familien vom einige Kilometer entfernten Aldi mit diversen Einkaufstüten bepackt durch den eisigen Wind zu Fuß unterwegs waren zurück in die Sammelunterkunft. Wenn irgend möglich, hielt ich mit meinem klapprigen Fahrzeug an, um wenigstens die frierenden Kinder einzuladen und sie zu ihren warmen Wohnungen zu bringen. Gerade die Kleinsten litten oft ganz besonders unter den veränderten äußeren Bedingungen, aber ihre Augen wurden strahlend und hell, wenn sie – wie es in Nazareth üblich war – in das Büro des Einrichtungsleiters gehen durften, um in die immer volle Bonbondose zu greifen.

An jedem 24. Dezember wurde für die polnischen Bewohner der Einrichtung ein ganz besonderes Fest gefeiert: Schon am Vormittag kam ein Priester ins Haus und feierte mit den katholische Christen die Messe. Danach gab es das traditionelle polnische Weihnachtsessen mit Karpfen, Sauerkraut und anderen Leckereien. Auch zu jeder Christvesper war die Kirche auf dem Gelände brechend voll. Christen, Moslems, Buddhisten und Kirchenferne – alle wollten dabei sein. Manche kamen, ohne dass sie ein einziges Wort verstanden – vielleicht auch nur, weil sie wussten, dass dies einer der bedeutendsten Tage für uns Deutsche war, und wollten uns dadurch ihren Respekt ausdrücken. Am Abend gab es die Bescherung für Jung und Alt. Mit großen Säcken voller Geschenken machten wir Mitarbeiter uns zu jeder Wohnung auf, um besonders die Kinder und Jugendlichen zu beschenken. Irgendwann zwischen 20 und 21 Uhr konnten meine Kollegen und ich dann zu unseren eigenen Familien heimgehen. Manche von uns nahmen noch einen einsamen Asylbewerber mit nach Hause. Manchmal war der Heilige Abend dann bereits beinahe vorbei. Trotzdem denke ich unglaublich gern an diese erfüllte Zeit zurück.

Auf dem Weg zu meiner heutigen Arbeitsstelle komme ich täglich nach wenigen 100 Metern an einer Bushaltestelle vorbei, an der fast immer eine kleinere oder größere Gruppe Asylbewerber steht und auf den Bus X34 wartet. Ihre Sammelunterkunft liegt nur wenige Meter von der Bushaltestelle entfernt. Die Zeiten für Asylbewerber sind nicht einfacher geworden in unserem Land. Die Menschen, die zu uns kommen, suchen wie damals Schutz, Sicherheit und eine Perspektive für ihr Leben. Meine persönlichen Aufgaben haben sich verändert und es gibt für mich nur noch wenige Berührungspunkte und Begegnungen mit Asylsuchenden. Aber nun, wo ich mich grade an die guten alten Zeiten erinnere, werde ich wohl bei der Sammelunterkunft an der Linie X34 vorbeischauen, um wenigsten einen kleinen Beitrag zu leisten, damit einige Kinderaugen strahlen.

Ein Beitrag aus dem diesjährigen Adventskalender der Immanuel Diakonie.

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