„Wenn die Sache mit dem Herzen zu Herzen geht“

Ein fiktives Fallbeispiel, aufgeschrieben von Ralf-Peter Greif. Er ist Pastor und Klinikseelsorger im Immanuel Klinikum Bernau Herzzentrum Brandenburg und im Immanuel Krankenhaus Berlin am Standort Buch.

Herr P., 65 Jahre, ehemals selbstständiger Handwerksmeister mit 17 Angestellten, soeben den Betrieb an den Sohn übergeben, steht vor einer schweren Herz-OP.

Herz-OP mit Herz-Lungen-Maschine im Herzzentrum Brandenburg in Bernau bei Berlin

Ich bin auf dem Weg zu herzchirurgischen Patienten, die für den nächsten Tag auf dem OP-Plan stehen. Ich weiß aus unzähligen Begegnungen, dass viele von ihnen ein mulmiges Gefühl, ja regelrecht Angst vor diesem Eingriff haben. Darum biete ich bewusst an, über das zu sprechen, was mit Blick auf die unmittelbar bevorstehende Operation bewegt.

Dabei treffe ich Herrn P. Wir sind uns bereits einige Tage zuvor begegnet. Sein OP-Termin ist verschoben worden. Er schildert die Anspannung, die das für ihn bedeutet hat. „Du versuchst dich darauf einzustellen. Kriegst dich einigermaßen zur Ruhe, sammelst alle Kraft, wirst durch die Pflege vorbereitet, wartest darauf, abgeholt zu werden. Und dann wird dir kurz vorher mitgeteilt, doch noch nicht dran zu kommen. Ein dringender Fall muss dazwischen geschoben werden. Klar habe ich Verständnis. Und doch ist es belastend, diese ständige Spannung aushalten zu müssen. Schließlich ist diese OP am Herzen doch nicht irgendeine. Daran hängt doch schließlich das Leben.“

Die Enttäuschung, der Ärger müssen raus. Dieses gegenüber jemandem loswerden zu können, der nicht unmittelbar zu den Beteiligten gehört, auf den deshalb keine Rücksicht genommen werden muss, das entlastet. Patientinnen und Patienten in solchen Begleiterfahrungen eine Art „Container“ oder auch „Klagemauer“ zu sein, ist wichtig.

Aber jetzt soll es wirklich so weit sein, morgen ist Herr P. nun endlich an der Reihe, gleich in der ersten OP-Runde. Und dann erzählt er seine Geschichte, die ihn hierhergebracht hat. Völlig überrascht worden ist er von der Schwere seiner Herzerkrankung. Eine Routineuntersuchung hat den Befund ans Licht gebracht, allerdings zu einem völlig unpassenden Zeitpunkt. Alle Lebensplanungen sind durcheinander geworfen worden. Und dass es ihn überhaupt erwischt hat, ist eigentlich auch nicht zu verstehen. „Ich lebe gesund, trinke nicht, rauche nicht. Gut, der Beruf, so gerne ich ihn ausgeübt habe, hat schon auch Stress gemacht. Vielleicht ist es das?“

In so eine Lage gekommen zu sein, wirft Fragen auf, ja stellt einen selbst und so manches um einen herum infrage. Das Warum quält, aber auch das Nachdenken darüber, was diese Situation für einen bedeutet. Unausgesprochen meldet sich hier und da das Gefühl von Gott oder allem Guten irgendwie verlassen zu sein. Damit jetzt umzugehen müssen, macht immer wieder zu schaffen. Dann das eine oder andere aussprechen zu können ohne dies irgendwie bewertet oder gedeutet zu bekommen, ist ein hilfreicher Schritt der unausweichlichen wie notwendigen Auseinandersetzung mit der Situation der Erkrankung. Es erleichtert, sich auf das Bevorstehende einlassen zu können. Hierbei kann Seelsorge als professionelles Gegenüber unterstützend wirken.

Ich frage Herrn P., wie es ihm jetzt so unmittelbar vor der Operation gehe. „Ich habe Angst“, lässt er mich wissen. Ich antworte ihm, dass dies sehr verständlich ist, schließlich erwarte ihn ein schwerer Eingriff. Auf meine Rückfrage, was ihm Angst macht, sagt Herr P.: „… dass ich nicht wieder aufwache. Ich möchte doch meine Enkelkinder noch aufwachsen sehen und mit meiner Frau jetzt, nachdem ich doch gerade in Pension gegangen bin, noch einige gute gemeinsame Jahre erleben.“

Ich frage Herrn P: „Was kann ich für sie tun, dass ihre Angst leichter wird?“ „Beten sie mit mir“, sagt Herr P. Und das tue ich. Ich befehle ihn, seine Situation und die damit verbundenen Ängste in Gottes Hände, lege schließlich meine Hand auf seine Schulter und spreche ihm einen Segen zu. Herr P hält meine Hand, schaut mich bewegt an und sagt: „Danke, dass hat mir gut getan.“ Als ich mich verabschiede, wünsche ich ihm das Erleben, hier in unserem Haus in guten Händen zu sein.

Patientinnen und Patienten vor einer Herzoperation empfinden häufig eine  existentiell berührende Grenzerfahrung. Sie spüren am eigenen Leibe wie  zerbrechlich Leben ist. Das erschüttert. Was das mitunter in einem auslöst, zur Sprache bringen zu können, haben wir als Seelsorgende in einem geschützten Raum anzubieten und wenn gewünscht, zu ermöglichen sowie zu begleiten. Offen für einen geistlichen Zuspruch sind in solchen Momenten keineswegs nur Menschen mit christlicher Tradition, sondern auch immer wieder auch jene, für die Kirche und Gott sonst eher keine oder wenig Bedeutung haben. Damit will allerdings sehr behutsam umgegangen werden.

Übrigens, Herr P kam nach seiner OP, einen Tag vor der Entlassung in den Klinikgottesdienst. Es war ihm wichtig an diesem Ort in besonderer Weise  seine Dankbarkeit auszudrücken, heil nach Hause zurückkehren zu dürfen.

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