Was leistet Seelsorge? Die chronisch Erkrankte in einer Spezialklinik

Ein fiktives Fallbeispiel, aufgeschrieben von Marc Stamm. Er ist Pastor und Klinikseelsorger im Immanuel Krankenhaus Berlin am Standort Wannsee.

Frau S., 52 Jahre, hat seit 16 Jahren Rheuma und ist jetzt zum 7. Mal zu einer längeren Behandlung in der Klinik. Nichts klappt mehr, die Sozialbeziehungen nehmen ab, der Lebensmut verringert sich.

Blick auf den Kleinen Wannsee im Immanuel Park

In meinem Büro blinkte schon der Anrufbeantworter als ich die Tür öffnete. Ich hörte die Nachricht von einem Krankenpfleger der Ebene 1B: „Herr Seelsorger, Frau S. wünscht sich einen weiteren Besuch. Können Sie bitte vorbei kommen. Wir machen uns als Team Sorgen.“

Mir stand die Patientin sofort vor Augen. Sie wird schon seit vielen Jahren regelmäßig hier im Haus an ihrer chronischen Erkrankung behandelt. Vor allem die Therapie in der Kältekammer gibt ihr einen neuen Bewegungshorizont – schmerzfrei. „Denn die unaufhörlichen Schmerzen zermalmen den Menschen“, hatte sie mir in dem letzten Gespräch wiederholt gesagt.

Als Seelsorger hatte ich Frau S. vor drei Tagen bei meinem Rundgang auf der Ebene getroffen. Sie war also wieder da. Ihre Schmerzen auch. Sie erzählte mir, wie es ihr in den letzten Monaten Zuhause erging. Es ging nicht mehr. Die Schmerzen, die Gelenke, die Muskeln – sie konnte sich kaum noch aus ihrer Wohnung im dritten Stock trotz Fahrstuhls wagen. Alles das, was für uns alltäglich ist, machte ihr Not: der Einkauf, die Besuche beim Arzt, der Haushalt. Vieles hatte sie in den letzten Monaten dank sozialer Anbieter organisieren können.

Aber was ihr fehlte, beschrieb sie so: „Herr Pfarrer, wissen Sie, mir fehlt das Leben! Die Schmerzen berauben mich meines Lebens! Mein Freundeskreis hat sich stark auf drei echte Freundinnen reduziert. Ich kann nicht mehr tanzen. Nicht mehr zur Schlossstraße. Glauben Sie, mir wird hier wieder geholfen?“

Als Seelsorger habe ich die Freiheit, genügend Zeit für das Gespräch zu haben. Und genau das war hier nötig. Ich stellte ihr einige kurze Fragen zur ihrer persönlichen Geschichte mit ihrer Krankheit, und sie erinnerte sich an die kleinen Momente, die ihr Sicherheit und Kraft gaben. Sie hatte in ihrem Leben schon vieles gelernt, um auch diese Krise zu meistern.

Auch die Bedeutung von Erinnerung und Phantasie konnte ich ihr erläutern, um die zu eng erlebte Wirklichkeit zu weiten. „Haben Sie Lust, mit mir eine Phantasiereise durch die Schlossstraße zu machen? Wir können uns doch in der Phantasie an der U-Bahn am Rathaus Steglitz treffen, um dann gemeinsam durch die Einkaufsstraße zu schlendern?“, fragte ich sie. Sie überlegte, schwieg einen Moment, sagte dann doch: „Ja, ich kann Ihnen eine ganze Menge aus dem Leben der Schlossstraße berichten.“ Und sie begann zu erzählen. Am Ende der kleinen Reise durch die Geschäftswelt in Steglitz hatte sie ihr Lächeln wieder gefunden und verstanden, dass es Hoffnung und Hilfe für sie geben wird.

Das Gespräch lag nun drei Tage zurück. Und jetzt blinkte mein Anrufbeantworter mit dem Anruf von der Ebene 1B. Ich hörte den Anruf nochmals ab. Was wird in der Zwischenzeit mit Frau S. passiert sein? Wie kann ich das Team als Seelsorger unterstützen? So waren meine ersten inneren Fragen.

Ich machte mich auf den Weg zur Ebene, fragte im Pflegeteam nach und wollte etwas über deren aktuelle Sorge um Frau S. wissen. Sie berichteten mir von ihren Beobachtungen. Auch die behandelnde Ärztin erläuterte mir die neueste Diagnose und mögliche Therapien, die aber wieder Zeit benötigten. Die Sorge des Teams konnte ich auf Grund der Informationen teilen. Ich stellte mir die Frage, wie ich als Teil des therapeutischen Teams mit Frau S. ins helfende Gespräch einsteigen und ihre Seele zur inneren Ruhe begleiten kann, damit sie Hoffnung und Kraft hat, die Zeit bis zum Erfolg der Therapie durchzuhalten? Ich nahm mir Zeit, um mich auf das Gespräch vorzubereiten. Dann ging ich in das Zimmer. Sie empfing mich freudig und liebevoll. Es war ein ganz anderes Gespräch als ich zuvor erwartet hatte.

Aber so ist eben Seelsorge. Zum Abschluss des Gesprächs gab ich ihr eine Karte mit dem Thema „Lebenswege“ und einem biblischen Trostwort aus dem Psalm 37. Sie bedankte sich für die gemeinsame Zeit. Einige Tage später erzählte sie mir, dass sie am Abend beim Malen war. Bei der „Kreativzeit Malen“ hatte sie mit anderen Aquarellbilder gemalt. Sie hatte dabei gestaunt, bewundert, gelacht und neue Hoffnung für Ihr Leben getankt. Dafür ist sie Gott sehr dankbar.

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