Eine besondere Aussegnung

Herr S. lebte nur fünf Wochen im Diakonie–Hospiz Wannsee. Er hatte sich gewünscht, im November ins Hospiz zu kommen und Weihnachten und Silvester noch zu erleben. Herr S. litt an Amyotropher Lateralsklerose (ALS).

Kunstherapie mit Gästen und Angehörigen im Diakonie-Hospiz-Wannsee

Kunstherapie mit Gästen und Angehörigen im Diakonie-Hospiz-Wannsee

Er war ein dem Leben zugewandter, sehr kommunikativer Mensch. Mit seinem E-Rolli fuhr er durch das Hospiz, hatte zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, zu vielen Gästen und Angehörigen einen guten Kontakt. Die Musiktherapie bereicherte er mit seinem fröhlichen Singen und mit den vielen Liedern, die er kannte. Auch an der Kunsttherapie nahm er regen Anteil. Noch einen Tag vor seinem Tod malte er mit seiner Frau gemeinsam ein Bild. Für ein anderes von ihm gestaltetes Bild suchten wir ebenfalls einen Tag vor seinem Tod zusammen einen Platz auf dem Flur vor seinem Zimmer aus. Das Bild war schon gerahmt, nur wir hatten nicht den richtigen Nagel. Jetzt hängt es selbstverständlich an dem von ihm bestimmten Ort.

Die Familie von Herrn S., die Ehefrau, drei Töchter und vier Enkelkinder, waren so oft wie möglich bei ihm und erfüllten ihm jeden Wunsch. Herr S. wusste, dass seine Zeit sehr begrenzt war. Er spürte, wie die Erkrankung fortschritt und er in seiner Selbständigkeit immer mehr eingeschränkt war. Humor, Lachen und Weinen waren nahe beieinander.

An einem Donnerstag starb Herr S., so wie er es sich gewünscht hatte. Nur einen Tag kam er zum Liegen. Seine Familie war bei ihm.

Am darauf folgenden Freitag verabschiedeten wir uns in seinem Zimmer mit einer Aussegnung. Familie, Freunde, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Schülerinnen und Schüler kamen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Das Zimmer war mit Blumen und Kerzen geschmückt. Er hatte, seinem innigen Wunsch entsprechend, sein Hertha-Trikot an.

Ich steh an deiner Krippen

In großer Runde sangen wir „Ich steh an deiner Krippen hier“ – das alte Weihnachtslied von Paul Gerhardt. In seinen Liedern drückt Paul Gerhardt seine ganz persönliche und enge Beziehung zu Christus aus. Auch Herr S. war sich dieser Beziehung sicher. Er war ein fröhlicher und engagierter Christ, der zum Beispiel als Vorsitzender des Gemeindekirchenrates seine Verantwortung in der Kirche wahrgenommen hat.

Während der Aussegnungsfeier ermunterte uns Pfarrer i.R. Kurt Kreibohm, Herrn S. mit einem Satz unseren Dank auszusprechen. Es waren bewegende Worte, die wir hörten oder selbst sprachen.

Die Enkelkinder waren wie selbstverständlich zu jedem Zeitpunkt der Aussegnung zugegen. Sie betrachteten den verstorbenen Großvater, berührten ihn auch und waren ganz unbefangen.

Nach dem persönlichen Segen für Herrn S. und einem gemeinsamen Vaterunser, lud Frau S. uns alle zu einem kleinen Glas Eierlikör ein. Herr S. selbst hatte gern Eierlikör getrunken und dies auch im Hospiz immer mal wieder mit seiner Familie, aber auch mit Gästen und Angehörigen getan. Eine Mitarbeiterin hatte die Medizingläser für unseren kleinen Umtrunk schon vorbereitet. So standen wir alle um sein Bett, tranken in der Erinnerung und im Dank an ihn und wendeten uns wieder dem Leben zu.

Die Familie war noch lange im Hospiz. Einzeln oder mit den Enkelkindern gingen sie immer wieder zu Herrn S. Ich hörte, wie der älteste Enkel seiner kleinen Schwester auf dem Flur erklärte, dass der Opa nun tot sei und im Himmel wäre. Auch wenn die Kleine die ernsten Worte des großen Bruders scheinbar wenig interessierten, er konnte in Worte fassen, was er erlebte und empfand.

Wir alle im Hospiz sind Herrn S. und seiner Familie dankbar, für die Fröhlichkeit, den Humor und die bewusste Auseinandersetzung mit der schweren Erkrankung. Er war für uns ein Lehrer.

Leben bis zuletzt – das wurde hier in besonderer Weise deutlich.

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