Hier herrscht ein anderer Geist – christliche Ethik in der institutionalisierten Diakonie

Krankenhäuser und Seniorenheime nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgreich führen und gleichzeitig christliche Werte umzusetzen – geht das überhaupt?

Elimar Brandt
Günter Mahler hat im Februar 2010 dazu Mag. theol. Elimar Brandt gefragt, bis September 2010 Geschäftsführender Direktor der Immanuel Diakonie.

Könnten Sie, Herr Brandt, in gleicher Weise bei einem öffentlichen Träger arbeiten?

Nein, das könnte ich nicht. Ich bin aus Überzeugung Pastor. Ich sehe meine Aufgabe als Geschäftsführer immer auch als eine pastorale Aufgabe. Dazu bedarf es auch der entsprechenden Weltanschauung, die ich teilen kann.

Spielt christliche Ethik auch im Arbeitsalltag eines Diakoniedirektors eine Rolle?

Das hängt davon ab, inwieweit ich durch christliche Ethik durchwirkt bin. Mein Charakter ist davon bestimmt und geprägt. Deshalb: Was immer ich auch anpacke, auch an formalistischen Vorgängen, das gehe ich immer an als ein Mensch, der vom Evangelium durchdrungen ist. Durch diese Prägung gehe ich davon aus, dass meine Art der Geschäftsführertätigkeit – also Verantwortung zu tragen, Gespräche zu führen und Entscheidungen zu treffen – davon immer mit bestimmt wird. Ich muss mich, wo immer ich bin, authentisch als Christ, als Jünger Jesu zeigen. Und ich muss mich nie schämen müssen darüber, dass jemand mir vorwerfen kann: „Und det is n Pastor“.

Wie kann in den Einrichtungen der Immanuel Diakonie der Spagat zwischen wirtschaftlichem Druck und dem Arbeiten nach christlich-ethischen Grundwerten gelingen?

Wir müssen uns auf der einen Seite wie jedes andere Krankenhaus oder jede Altenpflegeeinrichtung und jeder Kindergarten wirtschaftlich verhalten. Wir kriegen nicht mehr Geld als Andere für erbrachte Leistungen. Für uns war es in dieser Situation ein entscheidender Prozess dass wir gesagt haben: Wir wollen mit den Mitarbeitenden zusammen einen Wertekanon entwickeln.

Nun sind in den Einrichtungen der Immanuel Diakonie zum Beispiel in Brandenburg 80% der Mitarbeitenden ohne christliche Sozialisation. Kann man denen einfach christliche Grundwerte überstülpen?

Genau an dieser Stelle haben wir uns gefragt: wie kriegen wir einen ‚Spirit’ in die Einrichtungen, der geprägt ist von den Aussagen des biblischen Menschenbildes. Wir haben nach einem Modell gesucht, das ganz klar geprägt ist von den jüdisch-christlichen Wurzeln des biblischen Menschenbildes. Das ist uns begegnet in der Ottawa-Charta und der daraus abgeleiteten Gesundheitsförderung so wie das von der Weltgesundheitsorganisation vorgegeben ist. Hier habe ich die geistliche Ausrichtung entdeckt, die gerade den Mitarbeitenden, die nicht kirchlich sozialisiert sind eingängig ist und einleuchtet.

Sie arbeiten in ihren mit dem Managementmodul der ‚Balanced Scorecard’. Was bringt dieses Modul in den Fragen nach Wirtschaftlichkeit versus inhaltlichen Fragen?

Die ‚Balances Scorecard’ wird ja in vielen Firmen angewandt, das hat nichts mit christlicher Existenz oder einer freikirchlichen Einrichtung zu tun. Wir haben diese Balanced Scorecard genommen und sie ist ‚getauft’. Damit haben wir ein Managementmodul, mit dem wir das, was wir an Erkenntnissen gewonnen haben sowohl wirtschaftlich wie auch inhaltlich Schritt für Schritt über 20 klar definierte Ziele umsetzen und das Ganze auch messbar machen können.

Was soll die Arbeit nach den Zielen der ‚Balanced Scorecard’ letztendlich bringen?

Wir wollen im ‚Haifischbecken Gesundheitsmarkt’ einen anderen Stil entwickeln und dadurch für die Patienten und Patientinnen und auch für die Mitarbeiterschaft etwas darstellen, was eine andere ethische Grundlage hat. Gott sei Dank fragt unser Träger [Die baptisten.schöneberg, Anm. der Redaktion] nicht danach, die Rendite so zu erwirtschaften, dass Aktionäre zu bedienen sind. Natürlich müssen wir auch einen Ertrag erwirtschaften, um am Markt zu bleiben. Aber wir können das mit einer anderen Gesinnung tun.

Nun frage ich mich, wie diese andere Gesinnung im Pflegealltag, in dem Leistungen nach genau vorgegebenen Minutentakten absolviert werden müssen, zum Tragen kommen soll.

Das ist schon abartig, dass hier die Pflegenden unter einen Druck gesetzt werden der nichts anderes mehr zulässt, als die genau vorgeschriebenen Handreichungen zu geben. Hier erlebe ich am stärksten, dass auch die Mitarbeitenden oft überfordert sind, das, was sie an ethischen Überzeugung haben auch an die Frau, an den Mann zu bringen. Sie können es eigentlich nur tun, indem sie etwas Eigenes, Ehrenamtliches einsetzen.

Das klingt jetzt aber doch gefährlich nach Selbstausbeutung.

Ich bin davon überzeugt: es gibt auch in der Immanuel Diakonie wie in einer Baptistengemeinde enorm viel ehrenamtliches Handeln, was natürlich nicht ausgenutzt werden und sich in Richtung Ausbeutung entwickeln darf. Aber es wird viel aus Überzeugung von Mitarbeitenden an dieser Stelle eingesetzt.

Die Zeiten werden härter. Wird Ihnen nicht Angst und Bange wenn sie an die Zukunft des Gesundheitswesens denken – vor allem an die Finanzierbarkeit?

Für mich ist ausschlaggebend, dass wir bei der solidaren Finanzierung bleiben. Politische Aktivitäten, die Solidargemeinschaft aufbrechen wollen, sind gefährlich und für mich als Christ überhaupt nicht nachzuvollziehen. Wir müssen auch als Kirchenbund dafür eintreten, dass die solidarische Finanzierung des Gesundheitswesens erhalten bleibt.

Trotz Alledem werden in Zukunft nicht mehr alle Leistungen, die machbar wären, bezahlbar sein.

Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen ob jede medizinische Leistung, die möglich ist, auch zu jeder Zeit anzuwenden ist. Da könnten wir als Christen auch beispielhaft sein in der Weise, unser Leben nicht immer in die Hände der Ärzte zu legen. Wir müssen uns immer wieder fragen: muss ich jede medizinische Leistung in einem hohen Alter annehmen oder kann ich auch darüber nachdenken, ob der Ertrag dieser Leistung mein Leben wirklich verbessert. Verlängern kann es nach unserer Überzeugung ohnehin kein Mensch.

Sie haben jetzt viel von der ‚Solidargemeinschaft’ gesprochen. Hier die Nagelprobe: Hat die Immanuel Diakonie eine Betriebskrankenkasse und ist Elimar Brandt privat versichert?

Wir haben keine Betriebskrankenkasse entwickelt weil wir gesagt haben: Wir wollen auch an dieser Stelle in der großen Solidargemeinschaft bleiben. Ich persönlich bin immer ganz bewusst in einer gesetzlichen Krankenkasse – der AOK – geblieben um damit auch ein Signal zu geben: Das ist die Kasse, die am stärksten für die Mühseligen und Beladenen eintritt. Dann darf ich, der ein bisschen mehr verdienen darf als Andere und der ich von meinem ganzen Umfeld her auch nicht ständig die Kasse benötige, mich nicht von der Solidargemeinschaft verabschieden.

Schlussfrage: Wird das Führen der Immanuel Diakonie-Einrichtungen nach den Maßstäben der christlichen Ethik von den Kunden auch honoriert?

Das, was als Echo zu uns kommt ist: „Wenn man in ihr Haus kommt, herrscht dort eine andere Atmosphäre“. Das beschreibt für mich Wesentliches. Das bringen Leute vielleicht nicht direkt mit christlicher Wertesetzung in Verbindung. Aber sie sagen: Hier ist irgendwie ein anderer Geist.

Herr Brandt, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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